25.11.1937: "Die Wallücke-Bahn auf letzter Fahrt"




Über die bevorstehende Stillegung der Wallückebahn wurde am 25. November 1937 in der örtlichen Presse ausführlich berichtet. Der folgende Artikel und das Bild fanden sich in einem Fotoalbum von Claus von den Driesch. Ich habe bisher nicht herausfiinden können, in welcher Zeitung er erschienen ist. Das Bild entstand wohl kurz vor der Stillegung und zeigt eine der O&K-Loks (6 oder 7) mit dem Packwagen der Bahn.



"Nun pfeift und bimmelt sie nicht mehr: Die Wallücke-Bahn auf letzter Fahrt"
(Bericht über eine Fahrt mit der Wallückebahn im November 1937)



Löhne! - Nach Wallücke umsteigen

Unter den zahllosen, berühmten wie berüchtigten Möglichkeiten, in Löhne umzusteigen, wollen wir noch einmal die unbequemste wählen. Wir wollen zum Abschied und zum letzten Male mit der Wallücke-Bahn fahren, die heute ihren Betrieb einstellt, nachdem sie vierzig Jahre lang ihren beschwerlichen, kurvenreichen Weg hinauf ins Wiehengebirge gezuckelt ist.

Es ist in der Tat nicht sehr bequem, von der Reichsbahn eine Viertelstunde laufen zu müssen, um den Bahnhof der Kleinbahn zu erreichen. Nur gut, daß die Anschlüsse einigermaßen auf diese eingeschobene Fußtour Rücksicht nehmen. Hinter der Werrebrücke stoßen wir an der Straße nach Lübbecke auf die Schienen, die mit ihrer schmalsten Spur Westdeutschlands von 60 Zentimetern wie Spielzeug anmuten, das als weihnachtlicher Vorbote dort aufgebaut ist. Da steht auch das Schild: „Wallücke-Bahn" und darunter „Löhne". Und das ist schon der ganze „Bahnhof". Aber da hängt auch noch gegenüber am Gasthaus ein Fahrplan im gelben Holzkasten, so schlicht wie an der entlegensten Autobus-Haltestelle. Auf das leere Abstellgleis sind zwei Sandwagen geschoben.

Mit der Zeit sammeln sich wohl zehn Personen an der Haltestelle. Es pfeift in der Ferne, der Zug kündigt sich an. Zu sehen ist noch nichts im dichten Nebel dieses kalten Novembertages. Da tauchen schon Umrisse auf, - sollte der Zug so schnell herangekommen sein? Unmöglich, soviel dürfen wir ihm nicht zutrauen. Es ist ein Auto, das auf der Straße vorüberfährt, so schnell es ihm der Nebel gestattet. Nun aber ist das Bimmeln zu hören, es kommt näher - und da ist unser Zug auch endlich. Er überquert die Straße, hält und setzt zurück, um in den „Bahnhof Löhne" einzufahren.

Lokomotive Nr. 6 und Wagen Nr. 1

Hinter der kleinen, dreiachsigen Lokomotive fahren zwei offene, mit Kohlen beladene Güterwagen, dann kommt der gebrechliche Packwagen, dahinter der Personenwagen Nr. 1 und endliche in leerer Sandwagen, der abgestoßen und zu den beiden anderen auf das Abstellgleis geschoben wird. Im Personenwagen sitzt ein alter Mann allein in der Ecke gegenüber dem Ofen. Jetzt aber kommt Leben in den Wagen, denn - man bedenke - zehn Personen steigen ein. Der Lokomotivführer verläßt sein fauchendes Ungetüm und steckt erst einmal eine Postkarte in den Kasten gegenüber dem Gasthaus. Sein Bähnle ist zwar mit zehn Minuten Verspätung angekommen, aber dazu hat er immer noch Zeit genug. Bis zum 1. November hatte die Bahn auch Postbeförderung , die sie aber inzwischen schon aufgegeben hat.

Der Schlitz des mit einem schönen weiß-roten Emaille-Schild bezeichneten Posteinwurfs am Packwagen ist mit starkem Draht verschlossen.

Nun muss der Lokomotivführer noch ein Fahrrad im Packwagen verstauen und kommt dann mit dem dicken Fahrscheinblock in den Wagen, um die Fahrscheine zu verkaufen. Er ist nämlich gleichzeitig auch Zugführer und Schaffner, während der Heizer die Weichen stellt und den Güterverkehr erledigt. Einen weiteren Zugbegleiter gibt es nicht.

Mit einer Viertelstunde Verspätung endlich fahren wir ab. Es beginnt ein Schaukeln wie auf einem Segelschiff im Sturm und etwas schlimmer, als man es sich vorgestellt hat. Zwar haben alle Wagen schon vorsichtshalber vier Achsen, doch sind vielleicht die Fahrgäste nicht richtig verteilt? Natürlich - da sitzen ja auf der einen Bank sechs und auf der anderen vier! Wie soll der Wagen da Gleichgewicht halten!

Die zweite Klasse - ein Problem

Und wo ist die elfte Person geblieben? Ah, sie hat sich in die zweite Klasse gesetzt. Offenbar etwas „Besseres"!. O nein, die Polsterklasse kostet auf der Wallückebahn seit geraumer Zeit keinen Pfennig mehr als die Holzklasse, denn sonst würde sie wohl kaum jemand benutzen. Um also den Wagen etwas gleichmäßiger zu belasten, hat man auf höhere Fahrpreise verzichtet. Aber das wissen natürlich nur Eingeweihte, denn am Wagen steht nach wie vor die „2." Neben der „3.".

Vor 40 Jahren sahen die Wagen überhaupt ganz anders aus. Da war vorn und hinten zweite, in der Mitte dritte Klasse, und insgesamt vier Eingänge gab es an den Stirnwänden und den Seiten. Die Beschläge waren aus blankem Messing, und die zweite Klasse war vornehm mit rotem Plüsch gepolstert. 1910 wurden sie dann vollständig umgebaut, so daß nur das Fahrgestell das alte blieb. Es hatte sich nämlich erwiesen, daß es zuviel Plätze der zweiten und zu wenig der dritten Klasse waren. Heute sind noch drei Personenwagen vorhanden. Auch die ersten Lokomotiven bewährten sich nicht recht und hatten zuviel Reparaturen, so daß schon 1900 neue angeschafft wurden. So tun bis heute noch zwei ihren Dienst, die die Nummern 6 und 7 tragen.

Mit Volldampf durch die Felder

Inzwischen hat unser Zug auch seine Höchstgeschwindigkeit von 25 Stundenkilometern erreicht. Bei schnellerem Tempo dürfte die rasselnde, schaukelnde und schwankende Fahrt auch unbehaglich werden. Doch kaum ist diese Spitzenleistung erreicht, knirschen schon wieder die Bremsen. Obwohl kein Mensch ein- oder aussteigt, hält das Züglein brav an jeder der vielen Haltestellen, deren es auf der 16,6 Kilometer langen Strecke ein glattes Dutzend gibt.

Weiter geht es noch an der Landstraße entlang, und da ist es besonders peinlich, wie uns ein Auto nach dem anderen in flotter Fahrt überholt. Darum ist es gut, daß wir endlich von der Straße abbiegen. Im freien Felde hier hat unsere Bahn keine Konkurrenten, unbekümmert kann sie ihr lautes Wesen auslassen und von ihrer Bedeutung überzeugt sein. Es geht nun aber auch um jede Ecke herum, wo ein Bauer seinen Grenzstein stehen hat.

In Schnathorst verlassen alle Fahrgäste bis auf zwei den Wagen. Das Fahrrad wird herausgegeben, und das bedeutet einen langen Aufenthalt. Den benutzen einige Dorfbewohner zu einer kleinen Erinnerungsaufnahme. Vier Frauen gruppieren sich vor unserem Wagen, und der Photograph in der Strickjacke hält mit seiner Agfa die Szene fest. Auf dem Sportplatz winken und jubeln die Jungens dem Zuge zu, denn auch sie wissen, daß es damit nun ein Ende hat.

Große Not haben wir mit der Wagentür, die immer und immer wieder aufspringt und die Kälte in den Wagen läßt. Doch für diese letzten Fahrten wird sie es wohl noch tun. Wir treten auf die enge Plattform und lassen uns den Ruß und Qualm ins Gesicht treiben. Doch sieht man hier immer noch mehr als durch die beschlagenen Fenster von der Schönheit dieser Fahrt in die Höhen des Berges. Es geht ganz hübsch bergan, denn die Bahn überwindet auf ihrer kurzen Strecke 80 Meter Höhenunterschied. Ein Kind am Wege greift scherzhaft nach dem Zuge, als ob es ihn festhalten wolle. Hinterherlaufen könnte man aber auf jeden Fall.

Mit einer Viertelstunde Verspätung langen wir oben an der Wallücke an. Herrlich ist es hier im Gebirge, das in vollem Glanze der Sonne liegt. Man versteht, daß der Ausflugsverkehr an schönen Sonntagen 600 Fahrgäste brachte und die Bahn nötigte, alle drei Wagen aus dem Schuppen zu holen. Dagegen fuhren an den Wochentagen gewöhnlich nur 100 bis 150 Leute mit der Bahn.

Die Endstation liegt gegenüber der „Schönen Aussicht", doch irgendein Schild oder eine andere Stationsbezeichnung fehlt völlig. Geht man einige Schritte weiter, so kann man die vermauerten Stollen sehen, die einst in den Berg führten. Oben im Walde wird noch der Luftschacht gezeigt.

Abschiedsstimmung überall

Im Wagen entwickeln sich indes wehmütige Gespräche. Der alte Mann sitzt wieder in der Ecke und gesteht: „Ich fahre nur noch einmal zum Abschied mit, denn vor 40 Jahren war ich auch schon dabei." Auch die Mutter meint, sie wolle es noch einmal ausnutzen, denn jetzt wäre es ja vorbei. 40 Jahre hat man sich nun an die Bahn gewöhnt, und da soll es mit einem Tage zu Ende sein. Das faßt nicht jeder so rasch! Wohl haben die Ausflügler gelacht und sich über die Bimmelbahn lustig gemacht, aber wenn sie zurückkehrten, war doch immer die Bahnfahrt das Schönste gewesen. Heute möchte man gerne die Bahn behalten, und besonders in Schnathorst wird man sich an ihr Verschwinden gewöhnen müssen. Während alle anderen Orte schon an den Autobusverkehr angeschlossen waren, wird dieser jetzt auch in Schnathorst die Kleinbahn ersetzen müssen.

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